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Vom Polygrafen zum Hirnscanner: Über die anhaltende Attraktivität und soziotechnische Neukonfiguration der Lügendetektion

Aussagen einer Person auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, um sich Gewissheit über Gesagtes und/oder Getanes zu verschaffen, ist ein ebenso historisches wie gegenwärtiges gesell­schaftliches Ziel. Wissenschaftlich-technologische Verfahren, die die­sem Wunsch nachkommen, werden als Lügendetektion bezeichnet. Das wohl bekannteste Gerät ist in diesem Zusammenhang der in den 1920er Jahren entwickelte Polygraf. Er versprach auf der Basis biologischer Daten eine neue Qualität der Lügendetektion. Von Beginn an wurde jedoch die Validität dieses und vergleichbarer Verfahren kritisiert. Trotz aller Kritik wurde auch in Deutschland nie gänzlich darauf verzichtet, Lügendetektoren in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten einzusetzen. Aktuell wird gar ihre Renaissance konstatiert, was insbesondere mit dem Entwickeln und Anwenden bildgebender Verfahren der Neurowissenschaften für die Lügendetektion zusammenhängt. Gerade in forensischen Diskursen wird diesen ein erhebliches Potenzial zugesprochen, da mit ihren neurowissenschaftlich fundierten Prozedere eine validere Detektion von Lügen ermöglicht werde. Dies führte unter anderem zu einer neuen Debatte über ihre Zulässigkeit im Rahmen von Straf- und Zivilprozessen. Trotz der gesellschaftlichen und (sicherheits-)politischen Relevanz des Themas steht eine umfassende sozialwissenschaftliche Analyse lügendetektorischer Praktiken bis heute aus. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die soziotechnische Ausgestaltung einschlägiger Handlungskontexte.

Das Forschungsvorhaben untersucht erstmals aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die his­torische Entwicklung, rechtlich-administrative Praxis und sozio-technische (Neu-)Konfiguration der Lügendetektion in Deutschland. Ziel ist es, die mit dieser Technologie verbundenen soziotechnischen Wissens- und Praxiskonfigurationen, bestehend aus einem komplexen Gefüge von Erwartungen, Versprechungen, erfahrungsbezogenen Übersetzungsleistungen und Wissensbeständen, zu analysieren und zu reflektieren. Dabei soll die für das jeweilige Verfahren konkrete Eigendynamik der soziotechnischen Handlungspraxis herausgearbeitet werden. Dies beinhaltet insbesondere, dass die Perspektiven und das Wissen der involvierten Akteur_innen in ihrer jeweiligen (praktischen und fachlichen) Eigenlogik zu rekonstruieren sind. Hierbei wird insbesondere auch die Rolle neuer bildgebender Verfahren für die Renaissance der Lügendetektion in den Blick genommen. Mit diesem Fokus leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur soziologischen Analyse und theoretischen Reflexion wissenschaftlich-(bio)technologischer Verfahren, ihrer Attraktivität in verschiedenen Handlungsfeldern und Kontexten der Gegenwartsgesellschaft sowie der mit ihrem Einsatz verbundenen gesell­schaftlichen Implikationen.

Prof. Dr.
Torsten
Heinemann

Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Sozialwissenschaften
Lügendetektion, Neurowisssenschaften, Gedankenlesen
03/0017
02/2020

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